Arnold, Heinrich
Pianofortefabrik, Darmstadt, 1830 – 1943
Die „warmen“ Klaviere aus Aschaffenburg oder Werbung anno dazumal
Eine gute Werbung kann den Umsatz und Bekanntheitsgrad erheblich steigern.
In manchen Fällen führt sie auch zu Hohn und Spott missgünstiger Zeitgenossen.
So geschehen im Fall der Aschaffenburger Klavierfabrik Wilhelm Arnold.
Die Firma gründete Heinrich Arnold 1830 im Dörfchen Klein-Umstadt (heute Stadtteil von Groß-Umstadt) zwischen Aschaffenburg und Darmstadt. Die frühe Produktion von Tafelklavieren folgte dem Zeitgeschmack. In der Gründerzeit kamen aufwändig gearbeitete Klaviere und Konzertklaviere hinzu, ebenso Stutzflügel.
Der Sohn Wilhelm Arnold macht sich 1886 in Hanau selbständig. 1892 wird die Firma in Aschaffenburg in das Handelsregister eingetragen. In diesen frühen Jahren werden Klaviere vom Vater Heinrich Arnold und noch keine eigenen Konstruktionen verkauft. Dies änderte sich spätestens 1896, als auf der Ausstellung in Nürnberg unter drei Pianos ein Doppel-Aliquotpiano vorgestellt wird. Die Aliquotsaiten verlaufen unter dem Klangsaitenniveau und oben durch die durchbohrte Silie.
Enttäuschend muß es für den nach Anerkennung trachtenden Klavierfabrikanten gewesen sein, für dieses Aliquotpiano nur die Bronzemedaille verliehen zu bekommen. Er weist sie zurück und versucht mit Dumpingpreisen von 30 % den Umsatz anzukurbeln. 1899 und nochmals 1902 wird Arnold daher der Klavierschleuderei bezichtigt (leider gilt das heute nicht mehr als verwerflich und ehrenrührig). 1911 versucht Wilhelm Arnold sein angekratztes Image mit einem Hoflieferantentitel aufzupolieren. Der damals für den gemütskranken „bayerischen“ König mit der Staatsführung betraute Prinzregent Luitpold kam regelmäßig zur Wildsaujagd in den angrenzenden Spessart und wohnte dort im prächtigen Renaissance-Residenzschloss der 1803 säkularisierten Kurfürsten von Mainz.
Dieses Schloss sowie das gesamte Frankenland war dem König von Bayern 1814 nach dem Sieg über Napoleon als Kriegsbeute zugefallen. König Ludwig I. ließ sich hier von Lola Montez den beschwerlichen Regierungsalltag versüßen. Prinzregent Luitpold verleiht Wilhelm Arnold 1911 das Hoflieferantenpatent. Daraufhin prangt das bayerische Königswappen mit doppelter Ordenskette gefasst in Gold- und Silberbronze, auf den mit Jugendstilranken, Wappenschild und voluminösen Graugusskapodastern gezierten Kunstgussplatten. Es werden in dieser Zeit solide Klaviere in den Größen 130, 135 und das Konzertmodell 142 gefertigt. Auch die aufwendigen Gehäuse in barock Wurzelnuss und Jugendstil mit kunstvoll geschnitzten Seerosen passen in die Zeit und in das Werbekonzept der aufstrebenden Pianofortefabrik. Keine Glanzlichter am Pianohimmel bleiben die selten und daher mit wenig Erfahrung und Übung produzierten Stutzflügel.
Wilhelm Arnold scheint am Zenit seines Erfolges angelangt zu sein, doch er strebte nach noch höheren Weihen. Allerdings bliebe über dem König nur noch der Papst.
Wilhelm Arnold erinnert sich offensichtlich einer 1893 an dem Musikgiganten der Gründerzeit Hans von Bülow (geb. 1830, gest. 12.02.1894) begangenen guten Tat. Er hatte dem todkranken ein Pianino zur Verfügung gestellt.
Unter den berühmten Interpreten des 19. Jahrhunderts ragte Hans von Bülow als eine außergewöhnliche Erscheinung heraus. Er war nicht nur Virtuose auf dem Klavier, sondern auch ein weltberühmter Dirigent, Komponist und Musikkritiker. Er überschaute und beherrschte die gesamte Musik der vergangenen Klassik und seiner Zeit, der Romantik.
Das Repertoire, das er auf dem Podium stets auswendig spielte und dirigierte, oft genug als Pianosolist und Dirigent zugleich, war weit größer und umfassender, als das irgend eines damaligen Pianisten oder Dirigenten.
Auf seinen Europa- und Amerikatouren bot er ein Mammutprogramm von 13 Klaviersolo-abenden und 10 Konzerte mit Orchester. Er war u.a. Leiter der Meiniger Hofkapelle und der Berliner Philharmoniker. Er war der geniale Schüler von Franz Liszt, dessen Tochter Cosima er 1857 heiratete. Bülow war ein glühender Verehrer von Richard Wagner und seinem Werk. Selbst nach dem ihn Wagner betrogen und ihm die Frau genommen hatte, führte er dessen Werke weiterhin auf. Wagner wurde auf Grund dieses Vorfalles von König Ludwig II. von Bayern aus München verstoßen. So kam Bayreuth zu der besonderen Ehre einer Wagnerstadt.
Mit unbeschreiblicher Energie rang Hans von Bülow seinem von Kind auf schwächlichen Körper eine riesige Lebensleistung ab. Er schrieb und komponierte nachts, um am Tage durch mehrstündiges Üben sein Repertoire auf den neuesten Stand bringen zu können.
All diese Faktoren führten zu einem fortschreitenden körperlichen Verfall, verbunden mit quälenden Schmerzen.
Nach verschiedensten Behandlungen etlicher Ärzte wurde eine Hypnosebehandlung bei dem Arzt Dr. Flach in Aschaffenburg versucht. Auf Anraten des Arztes wurde am 24. August 1893 ein Klavier in das Hotelzimmer gestellt. Wenn Bülow sicher war, dass niemand zuhörte, präludierte der einstige Titan des Fortepianos mit steifen Fingern. Unter größter Anstrengung schrieb er einen letzten Brief: Ein freundliches Zeugnis für den Klavierfabrikanten Wilhelm Arnold in Aschaffenburg, der dem todkranken das Klavier zur Verfügung gestellt hatte. Bereits am 03. Mai 1911, zwei Monate nach Erlangung des Hoflieferantentitels wird das Warenzeichen „Bülow Piano“ im Handelsregister eingetragen und als Zweitmarke produziert.
Auf vielen Kunstgussplatten prangt nun der Satz: “Glänzend begutachtet und warm empfohlen, von Prof. Dr. Hans von Bülow“.
Nicht einmal ein „Karajan Piano“ könnte heute die Werbewirksamkeit verdeutlichen, die im frühen 20. Jahrhundert ein Piano mit dem Namen des Musikgenius Bülow darstellte.
Neid und Missgunst der Konkurrenten und der bei ihnen im Sold stehenden Musiker und Musiklehrer ließ nicht lange auf sich warten. Sticheleien wie „die warmen Aschaffenburger Klaviere“ musste Wilhelm Arnold über sich ergehen lassen. Einige Jahre bleibt der lobende Satz unverändert auf den Gussplatten. Es werden „Arnold Pianos“ und „Bülow Pianos“ produziert.
Auf den Gussplatten der neuen, schlichteren Klaviermodellen nach dem I. Weltkrieg wird das Wort „warm“ weggelassen. Auch die Verarbeitungsqualität der Klaviere hat nachgelassen.
Dies änderte sich zum Besseren, als Arnold/Bülow 1925 von der Philipps A.G. Frankfurt a.M. übernommen wird.
Wie Zeitzeugen berichten, lebten die Arnolds auf großem Fuß, was bei rückläufiger Auftragslage in den Konkurs geführt hätte. Arnold lieferte über lange Jahre Klaviere mit besonders voluminösem Gehäuse, in welches die Philipps AG seit 1896 ihre Einbausätze für pneumatische Reproduktionspianos einbaute.
Mit der Erfindung des Grammophons geht die Nachfrage nach diesen elektrischen Klavieren seit den 1920er Jahren stark zurück und führt zur Krise bei Arnold. Philipps baute seit 1925 mit der Übernahme von Arnold/Bülow eigene verbesserte Modelle. Die Bülow-Pianos sind mit einer aufwändig gestalteten Kunstgussplatte ausgestattet. Bis Ende der 1920er Jahre findet sich der lobende Satz von Bülow noch auf der Platte.
Dann werden kleinere Modelle von 118 und 125 cm gebaut und 1927 ein Philipps-Jubiläumsmodell sowie 1930 ein Arnold-Jubiläumsmodell von 130 cm.
Ab 1936 werden auch Möbel hergestellt. Im II. Weltkrieg 1942 endet die Klavierproduktion. Es werden nur noch Möbel und Munitionskisten gefertigt.
Noch in den 1970er Jahren schwärmten alte Klavierkunden von der Qualität der Bülow-Pianos, die weit höher gewesen sei als bei Arnold und Philipps Klavieren.
Der Glaube und in diesem Fall ein heute weitgehend unbekannter Name konnte hier Berge versetzen.
Verfasser ist Klavierbauer Ewald Lang aus 63762 Großostheim, gleichzeitig ist er Orthistoriker – herzlichen Dank.




