Böger, Wilhelm

Pianofortefabrik in Berlin, 1860-1930

Wilhelm Böger, geboren am 18. August 1831 in der Nähe des Zusammenflusses der Zwickauer und der Freiberger Mulde in einem wunderschönen, sächsischen Dorf, „in einem der lieblichsten und schönsten Teile des Sachsenlandes, wo waldige Berge und grünende Auen so anmutig wechseln und malerisch gelegene Orte mit altersgrauen Schlössern und Burgen sich in den Wellen des Flusses spiegeln. In solcher Umgebung verlebte Böger seine Jugendjahre, und zweifellos haben die Reize einer schönen Natur, die auf Gemüt und Charakter eines Menschen in der Jugend meist einen nachhaltigen Eindruck für das ganze Leben ausüben, auch viel zu dem freundlichen, leutseligen und biederen Wesen Böger’s beigetragen. Nach einer glücklichen Kinderzeit im Elternhause kam der geweckte Knabe zu dem Klavierfabrikanten Koch in Leipzig in die Lehre. Gemeinsam mit dem Vater trat er die Reise nach Leipzig an. Eisenbahn gab es damals noch nicht, und so wurde der Weg ein Stück zu Wagen, größtenteils aber zu Fuß zurückgelegt.

Nach einer 6-jährigen Lehr- und Gehilfenzeit bei Koch, der ihm ein tüchtiger Lehrmeister war, verließ Böger Leipzig. Er war dann noch an verschiedenen größeren Plätzen tätig und arbeitete ununterbrochen an seiner weiteren Ausbildung. Zuletzt kam er nach Berlin, wo er als Stimmer und Intoneur eine Vertrauensstellung erhielt. Im Stimmen wie im Intonieren besaß Böger eine ganz hervorragende Fertigkeit, und so kam es, daß er in seiner Stellung häufig zu den erster Künstlern geschickt wurde, um deren Instrumente nachzusehen und zu stimmen. Auf diese Weise wurde er mit vielen, der damaligen Meister des Klavierspiels bekannt, und einer von ihnen war es, der ihn auch veranlaßte, sich selbständig zu machen. So gründete denn Wilhelm Böger, kurz nach seiner Verheiratung, im Jahre 1860 in Berlin sein eigenes Geschäft.

Böger

Klein und bescheiden war der Anfang, entsprechend den geringen Mitteln, die dem jungen Meister zur Verfügung standen. Aber seine Klaviere erwarben sich bald Freunde und Ansehen, und da Böger unverrückbar an seinem Grundsatz festhielt, nur auf solidester Basis die Fabrikation zu betreiben und immer nur das Beste zu liefern, so entwickelte sich das Geschäft stetig weiter und dehnte sich von Jahr zu Jahr aus. Als nach dem Jahre 1870 der große Aufschwung der deutschen Klavierfabrikation einsetzte, da ging es in immer schnellerem Tempo vorwärts, so daß Böger sich gezwungen sah, um die zahlreich eingehenden Aufträge befriedigen zu können, die Fabrik zu vergrößern und im Jahre 1875 nach der Leipziger Straße zu verlegen. Im Jahre 1888 nahm er seinen ältesten Sohn Paul als Teilhaber auf, nachdem das Geschäft abermals eine weitere Ausdehnung erfahren hatte. Die Firma lautete von da ab Wilh. Böger & Sohn.

Inzwischen war auch der zweite Sohn Willy als Klaviermacher in die Lehre getreten und die Fabrik nach dem neu gekauften Grundstück Neuenburgerstraße verlegt worden. Da erlitt 1893 Böger den großen Schmerz, seinen ältesten Sohn Paul erst im 29. Lebensjahr nach langem schwerem Leiden zu verlieren.
Willy, der nach vollendeter Lehrzeit zu seiner Ausbildung bei ersten deutschen Firmen als Klaviermacher tätig gewesen war, mußte daher aus dem Auslande zurückgerufen werden, um dem Vater als Mitarbeiter und Teilhaber zur Seite zu stehen. Mit Lust und Liebe dem Klavierbau zugetan, griff Willy Böger mit voller Kraft im väterlichen Geschähe ein, das von da ab einen weiteren Aufschwung zur jetzigen Höhe nahm. Als Angehöriger einer echten Klaviermacher-Familie, erlernte auch der dritte Sohn Alfred den Klavierbau.

Nach einer mehrjährigen Tätigkeit bei angesehenen Firmen das In- und Auslandes trat auch er in das Geschäft ein und eröffnete unter seinem Namen im Westen Berlins eine Verkaufsniederlage der Bögerschen Fabrikate. Die gemeinsame Arbeit der Söhne war Wilhelm Böger’s Stolz und Glück im Alter, und mit Freude und Genugtuung sah er, wie das Geschäft immer mehr emporblühte und der alte Ruf des Fabrikates infolge seiner Qualität sich immer weiter befestigte. Zahlreiche erste Preise, die der Firma auf den von ihr beschickten Ausstellungen zuerkannt wurden, und sonstige Ehrungen legten hierfür Zeugnis ab. Bis zum vergangenen Sommer stimmte und intonierte Böger trotz seiner 75 Jahre noch mit der alten Fertigkeit und Sicherheit, wie ein Jugendlicher. Ein qualvolles Nierenleiden, das sich im August infolge einer Erkältung bei ihm einstellte, setzte seiner unermüdlichen Schaffenskraft und Arbeitsfreudigkeit ein Ziel, bis ihn am Ende des Jahres der Tod von seinen Schmerzen erlöste. Aber er konnte mit dem tröstenden Bewußtsein von hinnen scheiden, in seinen beiden Söhnen tüchtige und würdige Nachfolger zu haben, die sein Lebenswerk nach den alten soliden Prinzipien und auf der Bahn des Fortschrittes weiterführen werden“.
Aber noch sind wir noch nicht soweit.

Böger

1895 erfindet Böger einen Pianozug für Pianinos „der durch seine außerordentliche Präzision und durch die vollständig neue Konstruktion einem Pianisten die Möglichkeit bietet, verschiedene Grade des Piano hervorzubringen. Bis jetzt war diese Schwierigkeit noch nicht überwunden, da bei dem bisher konstruirten Pianozuge – sobald die Hämmer bis zur Hälfte der Anschlagsentfernung hervorgedrückt sind – die Taste, ehe der Ton erklingt, einen bedeutenden Niedergang durchmachen muß. Diesen Fehler hat W. Böger durch eine einfache, sinnreiche, eiserne Hebelvorrichtung beseitigt. Bei dem Niedertreten des Bögerschen Pianozuges werden die Tasten in entsprechender Weise gehoben und nach vorne gesenkt, so daß die Mechanik sofort präzise wirkt, kein unnöthiger Niedergang der Tasten stattfindet und ein feines Pianospielen in verschiedenen Uebergängen möglich wird. Diese Erfindung ist schon vor einiger Zeit gemacht worden, hat aber ihre vollendete Wirkung, Präzision und Vereinfachung in der Konstruktion erst jetzt erhalten“.
Schön wär´s, “ die Erfindung setzt sich jedoch nicht durch“. (Henkel)

Böger, Wilh.

Bericht von der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896:

Die ersten drei, im englischen Stil gehalten, gefallen durch vornehme Schlichtheit; ein Kabinet-Pianino in imitirt Ebenholz, ein etwas höheres Instrument in Alt-Mahagoni mit Buchsbaumeinlagen und ein Concert-Pianino in Nufsbaum matt. Reicher ausgestattet mit Cuivre poli ist das vierte Instrument, in imitirt. Ebenholz. Sämmtliche Instrumente von gleichmäfsig schönem Anschlag und angenehmem Ton haben Unterdämpfung. Bei allen ist der Böger’sche Pianozug, D.R.P. 41069, angebracht, welcher dadurch, daß er die Hämmer auf die halbe Höhe der Anschlagsentfernung hebt und die Klaviatur zur halben Falltiefe der Tasten herabsenkt, im Pianospiel Nüancirungen in mehrfachen Stärkegraden ermöglicht, ohne daß der Ton an Vollheit Einbuße erleidet, da der Hammer stets die drei Saiten trifft“.

Wilhelm Böger baute und verbesserte nicht nur seine Instrumente, er las auch aufmerksam die Fachzeitschrift und äußerte sich unter der Überschrift „Eingesandt: Werthe Redaktion!

ln Ihrer geschätzten Zeitung vom 1. Januar 1902 veröffentlicht ein Pianohändler aus Kiew in einem Eingesandt seine Klagen über schlechte Nachsendungen von deutschen Pianofortefabriken. Es wäre jedenfalls interessant, die Namen jener Fabriken kennen zu lernen, damit die reellen deutschen Fabrikanten wüßten, weiß Geisteskinder diese Fabrikanten sind. Jedenfalls werden die Preise 300 – 350 Mark mit neunmonatlichem Ziele gestellt gewesen sein. Wir haben schon verschiedene Händler, namentlich Russen, bei uns abweisen müssen, die sich erlaubten, uns die Preise zu diktieren und ein neunmonatliches Ziel zu fordern. Will ein Händler nichts bezahlen, so kann er auch keine gleichmäßige, anständige Waare verlangen. Eine traurige Thatsache sind ja die sogenannten Drahtkommoden, zu deren Fabrikation sich immer noch Firmen hergeben. Nimmt aber ein Händler derartige Instrumente, so darf er nicht öffentlich Klage führen über schlechte Nachlieferung. Kaufe der Händler in guten gediegenen Fabriken und zahle einen annehmbaren Preis, so wird er in unseren sämmtlichen deutschen wirklichen Klavier-Fabriken, nicht in sogenannten Drahtkommoden-Fabriken, auch bei Nachbestellungen, gut bedient werden. W. Böger & Sohn, Pianofabrik, Berlin“.

Böger

Neue „Preislisten“, herausgegeben im Jahre 1903:
Die Firma Wilh. Böger & Sohn, Pianofortefabrik in Berlin SW, Neuenburger Straße 25, hat soeben eine neue illustrierte Preisliste in deutsch-englisch-französisch-spanischer Sprache herausgegeben. Das Heft, 40 Seiten (in Groß-Lexikon-Oktav-Format) umfassend, weist eine splendide typographische Ausstattung auf und gibt — teils in Holzschnitt, teils in Autotypie — 16 Pianino-Modelle in verschiedenen Stilarten und Größen (von 1,26 m bis 1,48 m Höhe), sowie eine Innenansicht im Bilde wieder. Jedem Geschmacke ist darin Rechnung getragen, und auch der moderne Stil ist durch eine Reihe von eigenartigen Modellen vertreten, darunter ein englisch-modernes Modell in Alt-Mahagoni“.

Böger
(1)

Am 18. August 1906 vollendete der Pianofabrikant Herr Wilhelm Böger senior, Gründer der altangesehenen Firma Wilh. Böger & Sohn in Berlin SW., Lindenstr. 13, in voller Frische und Rüstigkeit sein 75. Lebensjahr. Mögen dem alten Herrn, der heute mit Stolz auf sein Lebenswerk zurückblicken kann und noch mit ungeschwächter Kraft in dem blühenden Fabrikationsunternehmen tätig ist, noch viele Jahre arbeitsfreudigen Schaffens und ungetrübten Lebensgenusses beschieden sein“.

Vor speziellen Angeboten, im Jahre 1909, warnte die Firma W. Böger & Sohn, die folgendes Schreiben von einer Domus GmbH erhielt. Sie möchten gern ein „erstklassiges Piano erwerben, wenn dagegen 10 neue Nähmaschinen lt. Anlage von uns in Tausch genommen und 400 Mk. bar an uns herausgezahlt werden; ohne diese Barzahlung können wir das Geschäft nicht machen“. Domus bittet um Besuch, bei der Firma um die Nähmaschinen zu besichtigen. Ein kleiner Prospekt mit einer Nähmaschine lag bei.

Firma Böger, hocherfreut über das Angebot, schrieb zurück: „Ihr freundliches Anerbieten haben wir als kommenden Aprilscherz aufgefaßt. Klavierfabriken brauchen heute noch keine Nähmaschinen. Möglich ist aber, daß Ihnen von den Herren Klavierhändlern, die in den Berliner Tageszeitungen annonzieren, 10 Nähmaschinen bei Ankauf eines Pianinos abgenommen werden und die dann bei Ankauf eines Pianinos eine Nähmaschine zugeben werden. Aber bares Geld dürften Sie von diesen Leuten nicht herausbekommen“. Über den „Aprilscherz“ freute sich auch eine andere Berliner Firma.

1912 erhielt der dritte Sohn von Wilhelm Böger, Alfred Böger, den Titel eines Hoflieferanten des Herzogs von Anhalt.

Böger, Willy
Willy Böger

Über den „Enkeltrick“ versuchen Gauner immer wieder auf kriminelle Art und Weise ihr Vermögen zu mehren. Vor über 100 Jahren, hier in der Form eines Darlehen suchenden Konzertmeisters!
Die Firma Wilh Böger & Sohn, Hof-Pianofabrik in Berlin SW, wurde Dienstag, den 26. August 1913 wiederholt von einem gewissen Prof. Dr. Steuer, welcher sich als Vorsitzender des Ärztl. Hilfsvereins ausgab, angerufen und gebeten, doch dem Konzertmeister Max Boder ein Darlehen von M. 200.— zu geben, welches binnen einem Jahre zurückgezahlt sein sollte. Der angebliche Prof. Dr. Steuer wurde aufgefordert, den Konzertmeister andern Tages zu der Firma zu senden.

Der letztere fand sich auch zur verabredeten Zeit ein und überreichte einen Brief folgenden Inhalts:
Sehr geehrter Herr Böger!
Bezugnehmend auf unser heutiges Telephongespräch, sende ich Herrn Konzertmeister Max Boder, wohnhaft in Pankow Florastraße 66, zu Ihnen. Herr B. war 3 1/2 Jahr schwer krank; er litt an Magenulcus. Infolge seines Leidens war er gezwungen, seine Tätigkeit voll und ganz einzustellen. Er beschäftigte früher 12 Kapellen, die in den größten Etablissements Berlins und Umgebung konzertierten. Um seine frühere Tätigkeit wieder aufzunehmen, seine Musikschule allmählich wieder einzurichten, bedarf er eines Darlehns von M. 200.—, welches er am 1. April 14 zurückzahlen wird.
Wie Sie, Herr Böger, aus unserm Jahresbericht ersehen können, empfehlen wir nur solche Leute, für die wir garantieren, über die wir uns voll und ganz informiert haben. Herr B. war stets ein fleißiger, braver Mensch, der, trotzdem sein Leiden schon weit fortgeschritten war, seine Tätigkeit nicht aufgab.
Ich bitte Sie im Namen des Vorstandes des Ärztl. Hilfsvereins und Fürsorge-Vereins, ihm das Darlehen ohne Bedenken zu geben, und werden wir im nächsten Jahresbericht Ihrer Erwähnung tun. Indem ich Ihnen im voraus für Ihre Güte danke, verbleibe ich ergebenst
Berlin, den 27. Aug. 13. I. A.: Prof. Dr. B. Steuer, Vors, des Ärztl. Hilfsvereins, Augustenburger Platz.“

Am nächsten Tage wurde die Firma Böger & Sohn von dem angeblichen Professor Steuer wieder angerufen und gefragt, wie sie sich zu der Angelegenheit stelle. Eine Stunde später erschien der Darlehen suchende Konzertmeister wieder im Geschäft. Inzwischen hatte die Firma bei bekannten Ärzten Erkundigungen eingezogen, aber keiner von ihnen kannte einen Prof. Dr. Steuer. Sie versuchte daher von dem Konzertmeister Näheres über seinen Gönner zu erfahren, indem sie sich bei ihm nach der Wohnung usw., vor allen Dingen nach der Telephon-Nummer des angeblichen Prof. Dr. Steuer erkundigte. Der Befragte gab auch entsprechende Auskünfte; als sich aber die Firma anschickte, unter der angegebenen Nummer zu telephonieren, da ergriff der Konzertmeister schleunigst die Flucht und ward nicht mehr gesehn. Bei dem außerordentlichen Raffinement, mit dem dieser ganze Schwindel in Szene gesetzt wurde, ist eine Warnung an die Herren Fachgenossen wohl angebracht, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß man den Schwindel auch mit anderen Fabrikanten versuchen wird, wenn nicht gar schon welche demselben zum Opfer gefallen sind“.

Böger

Ende April 1930 beging die Pianofortefabrik ihr „70jähriges Geschäftsjubiläum. Eine in der jetzigen schweren Zeit seltene Feier. … Noch heute steht Herr Willy Böger an der Spitze seines angesehenen Unternehmens. Er hat es verstanden, dank seinen hervorragenden Fachkenntnissen, sowie durch eiserne Energie und großen Fleiß das väterliche Geschäft aus bescheidenen, kleinen Anfängen heraus zu einer Firma zu entwickeln, deren Fabrikate weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und beliebt sind. Das Böger-Piano hat sich infolge seiner vorzüglichen Eigenschaften viele Freunde und großes Ansehen erworben und steht heute mitführend an der Spitze deutscher Qualitätserzeugnisse. Das Verdienst einer klugen und weitblickenden Geschäftsleitung ist es, daß die Firma Wilh. Böger & Sohn heute noch zu denjenigen Firmen der Klavierindustrie gehört, die in keinerlei Abhängigkeit zu Banken und Kreditinstituten stehen. So ist sie auch durch die schwere Geschäftskrise, die unsere gesamte Branche in Mitleidenschaft gezogen hat, ungefährdet hindurchgekommen.

Wir wünschen der Firma eine weitere gedeihliche Entwicklung und ihrem Inhaber auch fernerhin Glück und Wohlergehen. Er kann mit Genugtuung und Stolz auf das von ihm geschaffene Lebenswerk zurückblicken“.

Offensichtlich hat „die schwere Geschäftskrise“ auch Wilh. Böger & Sohn erreicht. Weitere Nachrichten sind nur noch in Reklamen zu sehen:
Verkaufe ein historisch seltenes, wertvolles und wunderschönes Konzert-Klavier der Klaviermanufaktur Wilh. Böger & Söhne, Berlin. Die Hersteller Nr. lautet 14220. Das Baujahr wird auf ca.1930 datiert“. (1)

Böger

Die Firmierung lautete bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg:
„Böger – gegr. 1860 – Kauf und Miete – Lindenstraße 13“.

Quelle:
(1) Rene Meinhardt
rene.meinhardt@gmx.net.