Emmer, Wilhelm
Pianofabrik in Berlin, 1870 – 1933
Ich, Wilhelm Emmer, bin der Größte. Meine Körpergröße weiß ich heute nach so vielen Jahren nicht mehr so genau, darauf kommt es mir auch nicht an. Ich bin der Größte unter den Hof-Pianoforte-Fabrikanten. Jedenfalls 1884 bin ich das. Wer kann schon 12 Hofdiplome, Staatsmedaillen und andere Auszeichnungen vorweisen? Gönnt jemand mir den Erfolg nicht? Böse Zungen behaupten, so der Herr Henkel, ich würde nur 8 Hoflieferantentitel besitzen. Außerdem habe ich noch mehrere Staats- und Ausstellungs-Medaillen, zum Beispiel aus Aschersleben 1877 und aus Magdeburg 1878 für meine fortschrittlichen kreuzsaitigen Pianinos.
Die neuen kreuzsaitigen Pianos, mal ehrlich, habe ich selbst nicht gebaut. Aber verkauft, ja, da bin ich der Größte. Schon Ende des Jahres 1883 gab ich ein Fest in meiner Hof-Pianohandlung, das 1500. Instrument wurde verkauft. Das Geschäft lief ja gut, ein Jahr später schon, genau am 14. Oktober 1884 verkaufte ich das 1800. Piano.
In dem Weltadressbuch von 1886 stellte ich mich auch dar als „Theilhaber der Pianofabrik Klingmann & Co. in Berlin“. Die Kollegen, die mir ihre Instrumente gaben, damit ich meinen Namen in ihnen anbringen und verkaufen konnte, möchte ich nicht nennen. Vielleicht wäre mir einer noch hinterher böse. Ich fragte ja nur nach dem „Einkaufspreis“. Verständlich, dass ich nicht bei Bechstein nachfragt…
Im Jahre 1887 erfolgte der Umzug von Magdeburg nach Berlin, Seidelstraße 20, Ecke der Neuen Grünstraße. „Hier wird auch eine Handlung betrieben und die schon in Magdeburg begründete Harmoniumfabrikation weitergeführt“ (Henkel).
Im Weltadressbuch von 1893 unter der Rubrik: „Pianofabriken“ steht der Name und die Wiederholung der Auszeichnungen. Interessant dürfte folgender Titel sein:
„Inhaber der Medaille für Nicht-Combattanten 1870/71 Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm I. von Deutschland und Königs von Preussen“. Demnach stand Herr Emmer im Kriege 1870/71 nicht als Combattant in Reihe u, Glied, sondern eben als Nicht-Combattant (Bezeichnung für Personen, die von einem Krieg oder einem bewaffneten Konflikt betroffen sind, ohne aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt zu sein).
Bericht der Vossischen Zeitung (Voss. Zeitung war eine überregional angesehene BerlinerZeitung) aus dem Jahre 1892:
Vor der siebenten Strafkammer des Landgerichtes I standen unter Anklage die Pianofabrikanten Heinrich Wiesener, Edmund Bantow und Emil Tietze. „Als Belastungszeuge trat der Pianofortehändler Emmer gegen die Angeklagten auf. Die Angeklagten hatten im Jahre 1887 unter der Firma Wiesener & Co. eine Pianofortefabrik aufgemacht. Da sie ein gutes Fabrikat lieferten, so fand sich einer ihrer Abnehmer, der Kaufmann Emmer, veranlaßt, als stiller Theilnehmer mit einer Einlage von 2000 M einzutreten. Infolge von Zwistigkeiten schied Emmer bald wieder aus. Seine Einlage wurde ihm pünktlich zurückerstattet. Ende 1890 machte Emmer wieder Annäherungsversuche, da er mit dem Fabrikat anderer Firmen nicht zufrieden war, und es kam zu einem neuen Gesellschafts-Vertrage. Auf Grund desselben zahlte Emmer diesmal 6000 M ein. Er will dabei gefragt haben wie die pekuniären (finanziellen) Verhältnisse der Firma ständen, und die Angeklagten sollen versichert haben, daß sie mit Gewinn arbeiteten. Von einer Einsicht der Geschäftsbücher nahm Emmer Abstand. Im Dezember 1891 ließen sich die Angeklagten noch einmal von Emmer 1000 M vorschießen, wobei sie auf Befragen wiederholt versicherten, daß ihre Lage keineswegs eine schlechte sei und daß der Geldgeber keine Gefahr laufe. Wenige Wochen später aber ließen die Angeklagten den Konkurs anmelden. Es stellte sich eine Unterbilanz in Höhe von 45 000 M heraus und aus den Büchern ließ sich feststellen, daß die Angeklagten schon mit Verlust gearbeitet hatten, als Emmer zum zweiten Male eintrat. Es wurde den Angeklagten deshalb zur Last gelegt, daß sie den Zeugen Emmer in betrügerischer Absicht zur Hergabe der Einschüsse bewogen hatten. Die Angeschuldigten bestritten dies entschieden. Auch der Konkurs-Verwalter stellt ihnen ein gutes Zeugniß aus. Sie seien fleißige und tüchtige Arbeiter gewesen, die gewissenhaft hergestellte, gute Instrumente lieferten. Da ihnen aber alle kaufmännische Kenntnisse abgingen, so hätten sie die Buchführung Angestellten überlassen müssen, von denen sie hintergangen worden seien. Er glaube nicht, daß die Angeklagten in betrügerischer Absicht gehandelt, sondern keine Kenntniß von ihrer Vermögenslage gehabt hätten. Der Gerichtshof erkannte nach dem Antrage des Staatsanwalts auf Freisprechung der Angeklagten“.
Im Berliner Handelsregister wurde 1893 Wilh. Emmer als „Commanditist der beiden Berliner Pianofabriken Harmonie (Wasserthorstr. 37) und G. Kälberer & Co. (Skalitzerstr. 101) eingetragen“.
Das 25-jährige Geschäftsjubiläum wurde 1895 in Berlin gefeiert.
1896 erschien unter der Überschrift „Vermischtes“ ein Artikel über „Emmer’s Geschäftspraxis vor Gericht“:
Es handelt sich um die „Berufungsklage des Pianohändlers Wilhelm Emmer in Berlin gegen den Pianoforte-Fabrikanten L. Simon in Ulm und den Redakteur der ‚Ulmer Zeitung’ G. Schwarz wegen Beleidigung zur Verhandlung. Beide Beklagte waren […] vom Ulmer Schöffengericht in dem von Emmer angestrengten Prozesse freigesprochen worden. Gegen dieses Urtheil hatte aber der Privatkläger Emmer Berufung eingelegt. Es handelte sich um einen Artikel der ‚Ulmer Zeitung’ vom Sept. v. J., in welchem Hr. Simon als Erwiderung auf einen reklamehaften von Emmer veranlaßten Artikel über das angebliche 50jährige Jubiläum der ‚weltbekannten Pianofortefabrik von W. Emmer in Berlin’ ausführte, daß die Firma Emmer als Fabrik gar nicht existire, Emmer vielmehr seine Pianinos bei verschiedenen Fabriken, wo dieselben nicht gerade am theuersten sind, zusammenkaufe, mit seiner Firma versehe und mit großem Pomp als ‚Emmer-Pianinos’ in der Provinz offerire. Auch bezüglich der erwähnten Titel und Orden dürften gelinde Zweifel nicht ausgeschlossen sein, da Emmer schon wegen Führung falscher Titel gestraft worden sei. Einige Tage nach Erscheinen dieses Artikels erhielt die ‚Ulmer Ztg.’ eine ‚Berichtigung nach dem Preßgesetz’ von Emmer, worin derselbe behauptete, er sei ‚Theilhaber’ einer Fabrik und werde bezüglich seiner Orden und Titel die Urkunden im gerichtlichen Verfahren gegen Simon vorlegen. Er erhob denn auch gegen Simon und den Redakteur der ‚Ulmer Ztg.’ Schwarz Privatklage wegen Beleidigung. In der Verhandlung vor der Strafkammer wie in der vor dem Schöffengericht gelang es den beiden Angeklagten, den Wahrheitsbeweis für die in dem inkriminirten Artikel behaupteten Thatsachen zu erbringen, weshalb in dem am 1. Febr. d. J. verkündeten Urtheil der k. Strafkammer die Berufung des Emmer verworfen und dem Privatkläger die Kosten beider Instanzen auferlegt wurden. Die ‚Ulmer Zeitung’ schreibt hierzu: ‚Zur näheren Charakteristik des Geschäftsbetriebs dieses Herrn Emmer lassen wir hier das Wesentliche aus der Verhandlung und aus den Entscheidungsgründen des Urtheils folgen, da der Fall auch für weitere Kreise von Interesse sein dürfte, indem er gewissermaßen einen Beitrag zu dem Kapitel ‚Unlauterer Wettbewerb’ bildet.
Emmer hatte bis zum Jahre 1878 einen ‚Kunstbazar’ in Magdeburg und betrieb dann den Klavierhandel in der Weise, daß er von kleineren Fabrikanten, mit denen er Verträge abschloß und mit kleinen Einlagen (2 – 6000 M) sich als Kommanditist am Geschäft betheiligte (um die Fabrikanten besser in der Hand zu haben), seine Instrumente zu billigen Preisen bezog, sie schon in der Fabrik mit seiner Firma versehen ließ und dann unter Anwendung großartiger Reklame verkaufte. Als er im Anfang der 80er Jahre nach Berlin übersiedelte, wurde ihm der Aufenthalt in Berlin nur bedingungsweise unter Voraussetzungen guter Führung gestattet. Von verschiedenen Fürstlichkeiten hatte er sich den Titel ‚Hoflieferant’, sowie Medaillen und andere Auszeichnungen zu verschaffen gewußt. Die Führung dieser Titel und das Tragen der Auszeichnungen wurde ihm jedoch in Berlin vom k. Hausministerium untersagt. Auch wurden ihm von mehreren Fürstlichkeiten die verliehenen Titel und Auszeichnungen wieder entzogen. Weil er dieselben aber trotzdem weiterführte, kam er mehrmals sowohl mit der Polizeibehörde als auch mit den Gerichten in Konflikt. Vom K. Schöffengericht Berlin wurde er zwar von der Anklage der unerlaubten Führung des Titels ‚Hoflieferant’ freigesprochen, da ‚Hoflieferant’ kein Titel im Sinne des (…) St.-G.-B., sondern nur ein Prädikat sei. Die Strafkammer des Landgerichts Berlin verurtheilte ihn jedoch auf die von Seiten der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hin zu der Geldstrafe von 50 M, welches Urtheil aber in der Revisionsinstanz nicht bestätigt wurde. Ein andermal, wo er wegen unerlaubter Führung des Titels: ‚K. pr. Hoflieferant’ angeklagt war, redete er sich damit hinaus, daß er behauptete, die Bezeichnung ‚K. pr.’ heiße nicht ‚Königl. Preußischer’, wie die Anklage behauptete, sondern nur ‚ Königl. prinzlicher’, da er in der That Hoflieferant Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Georg sei. Die in der Gerichtsverhandlung zur Verlesung gekommenen Verträge mit seinen Lieferanten sind charakteristisch für die Art und Weise, wie Emmer diese kleinen Leute auszunützen verstand. Insbesondere enthält der Vertrag mit einem Klavierfabrikanten Kälberer geradezu unerhörten Bestimmungen, die zum Ruin des unglücklichen Fabrikanten führten, der sich dann erschoß. Abgesehen von dem erbrachten Wahrheitsbeweis wurde sowohl Hrn. Simon als auch dem Redakteur der ‚U. Ztg.’ der Schutz des § 193 St.-G.-B. zugebilligt, da sie in der That in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt haben. Simon, um sich gegen eine mit schwindelhafter Reklame arbeitende Konkurrenz zu wehren, Schwarz, um bei den Lesern der ‚U. Ztg.’ nicht in einem schiefen Lichte zu erscheinen. Denn er mußte sich, wie er auch in seiner Vertheidigung ausführte, sagen, daß er bei demjenigen Theil seiner Leser, welche die Verhältnisse des Herrn Emmer genau kannten, gewissermaßen als dessen Complice erscheinen müsse, der sich für diese Reklame bezahlen lasse. Im Interesse seiner persönlichen Ehre war er deshalb genöthigt, Hrn Simon, von dem er annehmen durfte, daß er die Verhältnisse der Herrn Emmer genau kenne, Gelegenheit zu einer Widerlegung der Schwindeleien des von Berlin aus veranlaßten Reklame-Artikels zu geben. Bemerkt sei noch, daß sich die Entscheidungsgründe des Urtheils der K. Strafkammer im Wesentlichen mit denjenigen des schöffengerichtlichen Urtheils decken“.
Kaum war „Emmers Geschäftspraxis vor Gericht“ abgeschlossen, wurden die Leser der ZfI nach 6 Monaten wieder informiert über Emmers Geschäftspraxis.
Wilh. Emmer versuchte sein öffentlich genanntes Geschäftgebaren „durch ein höchst verwerfliches Mittel abzuschwächen und zu vertuschen, indem er nämlich einen ganz anderen Prozeß mit dem ersteren verquickt und damit das Publikum täuscht“.
„Nun hat aber Fabrikant Simon in einer hies. Wirthschaft eine Aeußerung über Emmer gethan, die mit den in der „U. Z.“ veröffentlichten Mittheilungen in gar keinem Zusammenhang stand. Diese Aeußerung des Herrn Simon wurde Emmer wieder hinterbracht, und dieser strengte nun gegen Simon eine neue Beleidigungsklage an. Simon wurde nun diesmal wegen der erwähnten Wirthshausäußerung in der Berufungsinstanz von der Strafkammer des Landgerichts Ulm am 6. Juni d. J. zu einer Geldstrafe von 20 M verurtheilt. Diese Verurtheilung hat mit der im Februar d. J. erfolgten Freisprechung des Fabrikanten Simon und des Redakteurs der ,,U. Z.“ gar nichts zu thun.
Es ist somit vollständig unwahr, daß Simon wegen der in der ,,U. Ztg.“ veröffentlichten Mittheilungen über den Geschäftsbetrieb Emmers bestraft worden ist.
Vielmehr entsprachen diese Mittheilungen vollständig den Thatsachen. Der Geschäftsbetrieb Emmers ist nach dem Urtheil beider Instanzen in der That ein solcher, daß man ihn als unreell, reklamehaft bezeichnen muß.
Diese Thatsache ist natürlich Herrn Emmer sehr unbequem, und er scheut sich deshalb nicht, zu dem verwerflichen Mittel einer Fälschung des Thatbestandes zu greifen, um den Schein zu erwecken, als ob sein Geschäftsbetrieb ein reeller sei. Er verquickt beide Prozesse, die gar nicht in Zusammenhang mit einander stehen, indem er die Verurtheilung des Hrn. Simon im 2. Prozeß durch die Strafkammer als eine Verurtheilung im 1. Prozeß erscheinen läßt. Dieses unlautere Gebahren kennzeichnet treffend den Mann und seinen Geschäftsbetrieb.
Wenn das nicht unlauterer Wettbewerb ist, dann giebt es überhaupt keinen mehr. Wir halten uns für verpflichtet, den wahren Sachverhalt darzuthun und das unlautere Manöver des Herrn Emmer aufzudecken. Wir möchten die betr. Blätter, welche die gefälschte Darstellung aufgenommen haben, dringend bitten, nun auch die Richtigstellung zu bringen, damit dem Berliner Herrn das Handwerk gelegt wird“.
Dann scheint Ruhe in das Haus Emmer einzuziehen. Es gibt nur noch Eintragungen im Berliner Handelsregister, in denen die Unternehmensstruktur der GmbH geändert wurde.
1916 ist eine Eintragung zur Firma Emma erwähnenswert: „Fabrikant Georg Hoffmann in Berlin ist zum ferneren Geschäftsführer bestellt.“ (Georg Hoffmann gründete 1887 in Berlin seine Pianofortefabrik, zu dieser Zeit waren seine Instrumente bekannt unter „Hoffmann Pianos“.)
Die Firma Wilhelm Emmer, Pianoforte-Fabrik und Harmonium G.m.b.H. in Berlin erlosch handelsgerichtlich 1933.
Ich, Wilhelm Emmer, bin der … wollte der Größte sein, leider wurde daraus nichts, schade.
In der ZfI stand 1907 unter der Überschrift: „Der Zug des Todes im Jahre … Aus den Reihen der Fachgenossen wurden im verflossenen Jahre ins Jenseits abberufen …“
Ich bin nicht erwähnt. Außerdem wurde jede Abberufung ins Jenseits, sei er noch so klein und unbedeutend, in den Personal- und Geschäftsnotizen gemeldet. Auch hier fehlt mein Name! Bin oder war ich kein Fachgenosse? Lediglich Herr Henkel vermerkte mein Gehen von dieser undankbaren Welt: Ende des Jahres 1905 oder Anfang 1906. Vielleicht hätte ich mir ein über 2000 Jahre altes Wort mehr zu Herzen nehmen sollen:
„Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden“.
(Quelle: „Zeitschrift für Instrumentenbau“)