Scheel, Carl

Hof-Pianofortefabrik in Kassel, 1846 – 1935

Carl Scheel – eine Firma, die 87 Jahre bestand, weltbekannt war, ausgezeichnete Qualität lieferte, aber doch nicht zu den „größten“ zählte. Warum? Das Prinzip des Carl Scheel hieß: Keine Massenprodukte, sondern Kunstwerke schaffen. Ist damit auch die gerade mal erreichte Herstellungs-Nummer von ca. 37.000 zu erklären?

Frühe Nachweise aus einem Bericht über die Allgemeine Deutsche Ausstellung 1855 in München:
„Die besten unter allen diesen Instrumenten [aufrechtstehend pianofortes] hatte C. Scheel in Kassel ausgestellt, … Der Ton dieser Instrumente, die kaum 4 ½ Fuß hoch waren, war voll und rund in der Contraoctave und verhältnißmäßig durch die ganze Scala. Die Spielart leicht, die Repetition präcis, wenn auch der Fall der Tasten etwas tief genannt werden muss. Scheel erhielt die Ehrenmünze für seine Obliques.“ Scheel 1892Der Gründer der Firma
Carl Scheel wurde am 1. Februar 1812 in Kassel geboren. Sein Vater, der Schreinermeister, freute sich über seine vier Jungen ebenso wie über die zwei Mädchen. Den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten, war äußerst schwierig. Oft war das Lebens notwendigste aufgrund damaliger Verhältnisse nicht vorhanden, Handel und Gewerbe kamen fast zum Stillstand. Es verwundert nicht, daß Carl die vierjährige Lehre bei seinem Vater absolvierte. Mit 20 Jahren ging er auf Wanderschaft zu dem Schreinermeister H. A. Wulf in Frankfurt/M. Allerdings nur für ein dreiviertel Jahr, sein Interesse lag mehr beim „Clavierbau“. Darmstadt war seine nächste Station, bei dem Hof-Instrumentenmacher Vierheller arbeitete er vier Jahre. Im Sommer 1837 ging Carl Scheel über Mannheim, Karlsruhe und Straßburg nach Paris, wo er am 5. Juli 1837 eintraf. Paris war damals für den Instrumentenbau das leuchtende Vorbild. Hier hatte der deutsche Wandergeselle mit ersten Problemen zu kämpfen, die „französischen Sprachkenntnisse waren nur sehr geringe, die gesparten Thaler gingen zu Ende, aber der Stimmhammer half bald aus der drohenden Noth“.  Nach einer kurzen Beschäftigung bei einem Meister fand er Stellung in „dem damals einzig dastehenden Hause Erard“. Immerhin blieb er dort neun Jahre. „Seine Geschicklichkeit, sein Fleiß und seine außerordentliche technische Begabung, welche durch ein echt musikalisches Ohr unterstützt wurde, machte Erard bald auf den jungen Deutschen aufmerksam. Scheel stieg in verhältnismäßig kurzer Zeit vom einfachen Arbeiter bis zum chef d atelier empor, eine Stellung, welche ihn in häufige Berührung mit den ersten ausübenden Musikern der damaligen Zeit brachte. So hat er z. B. den damals schon einem unheilbaren Siechthum verfallenen Chopin in Erard’s Sälen manchmal am Flügel improvisieren gehört, und Liszt, Thalberg und andere Meister haben in seinem Beisein die Saiten erklingen lassen“. Die Sprachkenntnisse waren fortgeschritten, die Liebe auch, Scheel verlobte sich mit der Tochter des „Pianofortefabrikanten C. H. Reintjes“. Der Gedanke, nach Deutschland zurückzukehren kam ihm 1845. Ein Jahr später, Ostern, am 12. April 1846, setzte er ihn in die Tat um. Allerdings mit einer Besonderheit:
„Scheel hatte mit der Tradition der Tafelclaviere, welche damals in Deutschland ausschließlich gebaut wurden, gebrochen und sich ganz der Herstellung des Pianinos zugewandt […] Der in jener Zeit in Cassel als Generalmusikdirektor des Kurfürsten von Hessen wirkende berühmte Komponist und Virtuos Louis Spohr, der auch hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat, war einer der ersten, die sich in anerkennender Weise über die Scheel’schen Pianinos aussprachen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie lenkten“. Nachdem er sich eine soziale Grundlage geschaffen hatte, heiratete er 1849.

Scheel 1897

1854 errichtete er auf eigenem Grundstück ein größeres Gebäude. Anfang der 50er Jahre erhielt Scheel, obwohl man damals noch nichts von deutschen Pianinos hielt, durch Mortier de Lafontaine die Aufforderung zum Gewandhaus-Konzert in Leipzig ein Pianino zu senden. „Das Pianino wurde in Leipzig von Mendelssohn und Wieck und vielen anderen gespielt und, mit einem aufgestellten Flügel verglichen, in der Ausgiebigkeit des Tones vorzüglich gefunden. Auch in Holland wurden die Pianinos in Concerten gespielt“.

Einen großen Rückschlag erlebte die Firma, 1859, die fünf Jahre vorher errichtete Fabrik brannte völlig ab. „Aber durch unermüdlichen Fleiß wurde im Lauf der Jahre auch dieser Verlust wett gemacht, und es ging immer bergauf unter steter Anwendung des Grundsatzes, nur das möglichst Beste herzustellen. Die ungewöhnlich günstige Aufnahme, welche sein stets mit größter Sorgfalt und aus dem besten Material hergestelltes Fabrikat in europäischen und überseeischen Ländern fand, und die daran sich knüpfenden zahlreichen Aufträge nöthigten Scheel, sein Geschäft fortwährend zu erweitern; doch konnte er bei dem festen Grundsatze, nur Vorzügliches zu liefern, die Fabrikation nicht unbegrenzt vergrößern und nur mit Mühe den eingegangenen Aufträgen gerecht werden. Unter diesen Umständen fand er sich nur zeitweise veranlaßt, die größeren internationalen Industrie-Ausstellungen zu beschicken, doch wurden seine Instrumente bei derartigen Gelegenheiten stets zu den besten zählend befunden“.

Scheel 1898Der Kronprinz des deutschen Reiches und von Preußen, später Kaiser Friedrich, ernannte Carl Scheel 1879 zu seinem Hoflieferanten.

„Ein Jahr später nahm Scheel seinen ältesten Sohn Carl Heinrich und 1885 seinen zweiten Sohn Fritz als Teilhaber in die Firma auf. […] Einer der hervorragendsten und würdigsten Vertreter der deutschen Clavier-Industrie ist vor Kurzem aus unsrer Mitte geschieden. In den Nachmittagsstunden des 25. Januar (1892) verstarb – nur wenige Tage vor seinem achtzigsten Geburtstag – Herr Hof-Pianofortefabrikant Carl Scheel in Cassel nach nur achttägigem Krankenlager an den Folgen eines plötzlich eingetretenen Lungenkatarrhs. […] Sein Andenken aber soll uns theuer sein als das eines wahrhaften und guten Menschen, als eines nacheifernswerthen Vorbildes für die jüngere Generation unseres schönen Industriezweiges“.

Carl Heinrich Scheel
Geboren am 22. November 1854, verstorben im 29. April 1926. Mit 17 Jahren begann er bei seinem Vater die dreijährige praktische Lehre. Stationen seiner Wanderschaft waren die Städte Berlin, Firma Bechstein und Leipzig, Firma Blüthner. 1880 wurde er als Teilhaber in die Firma aufgenommen. In einem Bericht zu seinem 70. Geburtstag heißt es: „Er war Mitbegründer der Berufsgenossenschaft und des Vereins Deutscher Pianofortefabrikanten, dem er bis zur Neuorganisation als Vorstandsmitglied angehörte“. Scheel CarlFritz Scheel
Geboren am 31. Juli 1856, verstorben am 4. Jan. 1920. Fritz Scheel besuchte das Gymnasium und erlernte einen kaufmännischen Beruf, „indem er in eines der größten Kasseler Engrogeschäfte als Lehrling eintrat“. Nach dreijährigen Lehrzeit, in der er sich auch englische und französische Sprachkenntnisse aneignete, wanderte er nach England aus. Nach zwei Jahren ging er nach Paris, ein Jahr später nach „Bilbao in Spanien, um in einem Grupp’schen Geschäfte (Erzgruben) in die kaufmännische Leitung einzutreten“. Fritz Schell kehrte „auf Veranlassung seiner Eltern und seines Bruders im Jahre 1886 nach Kassel zurück und trat nach seiner Verheiratung 1887 in das väterliche Geschäft als Teilhaber ein, nachdem er sich in den Jahren 1886-87 genügend Kenntnisse im praktischen Betriebe der Fabrik angeeignet hatte“.

Scheel FritzDer älteste Bruder Carl Heinrich übernahm die technische, und der jüngere Fritz die kaufmännische Leitung, und als der Vater starb, ging die Firma „in ihren gemeinsamen Besitz über“.
Fritz Scheel war viele Jahre Schriftführer des Stadtparlaments, 1913 wählte man ihn als Stadtrat in den Magistrat.
„Fast seine ganzen Stadtratsjahre waren Kriegsjahre, schwere Jahre, in denen im Rathause schwierige Aufgaben zu lösen waren. […] so u. a. bei Beginn der Kriegswirtschaft mit großem Erfolge die Leitung der städtischen Fleischversorgung. Auf jede Art war er bemüht, der Stadt Kassel und ihren Bürgern die Kriegszeit zu erleichtern. Er war der geistige Vater und Organisator der städtischen Eigenwirtschaft“.
Zu seiner Familie gehörten zwei Töchter und zwei Söhne. Der jüngste wurde 1914 schon Opfer des Krieges, der ältere Sohn (wieder) Carl trat nach dem Krieg in die Firma ein.

Die Hofpianofortefabrik
1895 wurde „den Söhnen Carl Scheel’s, unter deren Leitung die Firma immer mehr emporblühte, das Prädikat Kaiserliche Hoflieferanten verliehen, während im Jahre 1902 ihre Ernennung zu Hoflieferanten der Prinzessin Friedrich Leopold von Preußen erfolgte“.
Zum 50 jährigen Jubiläum, am 4. April 1896, erklang eine „Jubel ouverture auf dem jetzt wieder im Besitz der Firma befindlichen ersten, vor 50 Jahren gebauten Pianino…“
Mit dem Bau von Flügeln begann die Firma kurz vor der Jahrhundertwende.

Scheel Verkauf

An Ehrungen und Auszeichnungen hat es nicht gefehlt: erste Preise, goldene Medaillen und Diplome auf den Ausstellungen in London, München, Kassel 1870, Melbourne 1880, Melbourne 1888, Wien 1892, Kimberley 1892, Chicago 1893.
Auf der Jubiläums-Gewerbe-Ausstellung in Kassel, 1905, wurde die Firma mit der goldenen Staatsmedaille prämiert.
Fritz Scheel wurde 1913 vom König von Preußen der Königl. Kronenorden vierter Klasse verliehen und 1917 erhielt er das Verdienstkreuz für Kriegshilfe.

Nach dem Tode von Fritz Scheel übernahm sein Sohn Carl, der sich „vorher bereits mehrere Jahre im Betriebe praktisch betätigt hatte, nunmehr unter der Leitung seines Onkels Carl Heinrich Scheel einen Teil der Geschäfte“.

Scheel 19021921, zum 75jährigen Bestehen, erfuhr die Firma eine besondere Ehrung – in dieser Form sicherlich die Letzte:
Die Hof-Pianofortefabrik „gehört zu jener auserwählten Zahl von Firmen, deren Erzeugnisse, auf der höchsten Stufe der Vollendung stehend, den Ruf des deutschen Klaviers auf dem Weltmarkte begründen halfen und zu dem beispiellosen Aufschwunge beitrugen, den die deutsche Pianofortefabrikation in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts zu nehmen begann und bis zum Kriegsausbruch in immer steigendem Maße fortsetzte. […] Ein Unternehmen, das Werte erzeugt, die sich nicht bloß auf die Befriedigung materieller Lebensbedürfnisse beziehen, sondern den höchsten Interessen der Kunst dienen sollen, hat Anspruch darauf, von besonderen Gesichtspunkten beurteilt zu werden. Das Klavier ist mehr als ein bloßes Unterhaltungsinstrument. Es ist der universelle Vermittler zwischen dem vielgestaltigen Reiche der Tonkunst und uns. Der Klavierbauer – wir nehmen das Wort in seinem höchsten Sinn – ist kein bloßer Fabrikant. Er flößt seinem Werk einen Teil seiner Seele ein. […] Nie kann ihm, was er schafft, ganz genügen, soviel er auch daran verbessern mag. Ihm schwebt ein Ideal vor, das zu verwirklichen er mit aller Kraft seiner Seele ringt“.
Der Erste Weltkrieg hatte den Absatz nach dem Ausland für einige Jahre unmöglich gemacht, „als aber nach seiner Beendigung der Verkehr wieder aufgenommen werden konnte, bewiesen die von allen Seiten einlaufenden Anfragen, daß die Firma Carl Scheel auch im Auslande unvergessen war“.
1921, zur Leipziger Messe, wurden zahlreiche Modelle ausgestellt, davon ein Salonflügel und zwei Pianinos. Gebaut wurde nach dem Scheel’schen Grundsatz: Keine Massenprodukte, sondern Kunstwerke schaffen. Auch hier waren die Instrumente wegen der Tonfülle, leichten Spielart, soliden Bauart, Tropensicherheit und Dauerhaftigkeit begehrt.

Scheel MarkeDie Umwandlung in eine GmbH erfolgte 1923. Carl Heinrich und Carl jun. Scheel wurden als Geschäftsführer eingetragen, der Kaufmann Ernst Landgrebe erhielt Prokura. Eine Eintragung im Handelsregister von Marburg a. L.aus dem Jahre 1924:
„Karl Scheel, Herstellung und Vertrieb von Flügeln, Pianinos, Harmoniums, Pianolas, Phonolas, Mignons usw., insbesondere der Fortbetrieb und der weitere Ausbau der bisher zu Cassel unter der Firma Karl Sch. bestehenden Flügel- und Pianofortefabrik.
Die Zweigniederlassung wurde 1928 wieder aufgehoben“.

Die Firma Carl Scheel geriet in Zahlungsschwierigkeiten und ließ 1925 in der Presse folgende Mitteilung veröffentlichen:
„Zahlungsstockungen
Tatsache ist allein daß wir, wie viele deutsche Klavierfabriken, wegen des Ausfalls großer Auslandsmärkte keinen Absatz für eine Normalfabrikation haben und darum unsere Produktion dem augenblicklichen Verkauf richtigerweise anpaßten. Durch diese Betriebseinschränkungen und mehrere Konkurse sowie Abnahmeverweigerungen, die unsere Geldmittel festlegten, war mit der Zeit eine Disharmonie in unseren Zahlungseingängen und Zahlungsverpflichtungen zu befürchten. Wir haben uns darum mit unseren Gläubigern auf schriftlichen Wege vor Eintritt einer Gläubigerversammlung über eine Hinausschiebung der Zahlungstermine verständigt und zum größten Teil auch geeinigt. Insbesondere müssen wir feststellen, daß unser Vermögen einschließlich Grundstücke unsere Verpflichtungen um das Dreifache übersteigt.“

1927 erfolgte die Aufgabe der Produktion wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten, seitdem Weiterführung als Piano- und Möbelhandlung.
Die Zeit der „großen“ Firmen neigt sich mehr und mehr dem Ende zu, das bis dahin allerdings noch nicht absehbar war. Ein Werdegang, den sehr viele Klavierbaufirmen erleben mussten.
1933 wurde im Handelsregister notiert:
„Gegenstand des Unternehmens ist weiterhin der Wiederverkauf von Möbeln aller Art“.
1935 erfolgte dann die handelsgerichtliche Änderung der Firma Carl Scheel, Pianofortefabrik G.m.b.H. in „Carl Scheel G.m.b.H, Möbel- und Pianohaus, Kassel […] Der Kaufmann Wilh. Maaß ist zum stellvertretenden Geschäftsführer bestellt“. (bis 1936)

Zu den Kasseler Musiktagen 1937, die unter der Schirmherrschaft des Oberpräsidenten Prinz Philipp von Hessen stattfanden, stellte die Firma C. Scheel GmbH noch einen Flügel aus.
1939 schied Herbert Fanghänel aus der Firma aus.