Nagel, Gerhard Ludwig

Pianofortefabrik in Heilbronn, 1862 -1929

„Es brennt mir auf den Nägeln“, das heißt, ich bin ungeduldig, der nächste Artikel soll erarbeitet werden. Mit ihm möchte ich natürlich den „Nagel auf den Kopf treffen“.
Es sollte aber kein Notnagel oder gar ein Sargnagel werden, auch möchte ich mir nichts „unter den Nagel reißen“.
Neben den Sprichwörtern sind 21 Nageltypen bekannt, wobei keiner im Klavierbau Verwendung findet, klar. Daneben sind 22 Tipps bekannt für die Nagelpflege – auch weniger für den Klavierbau geeignet. Ich weiß aber etwas über einen vergangenen Nagel und einen heute bekannten, die etwas mit Klavieren zu tun hatten und haben.

Der vergangene Nagel ist die Pianofortefabrik von Gerhard Ludwig Nagel aus Heilbronn, sie wurde 1828 gegründet und bestand bis 1929. Wie? 1828 gegründet und der Gründer wurde erst ein Jahr später geboren?
Mit den verschiedenen Gründungsdaten wurde natürlich nicht „der Nagel auf den Kopf“ getroffen.
Zunächst schreibt H. Henkel im „Lexikon Dt. Klavierbauer“, S. 432: „Die Firma gibt 1818 (auch 1828) als Gründungsjahr an, es bezeichnet dies die Gründung der Firmen Ludwig Kulmbach bzw. Gebr. Kulmbach, deren Nachfolge Gerhard Ludwig Nagel über die Firmen Carl Uebel sen. und Uebel & Nagel 1862 antritt“.
Anderseits ist 1819 als das Gründungsjahr in dem Buch „Württembergische Klavierbauer des 18. und 19. Jahrhunderts“ (M. Jehle) angegeben. In der gleichen Ausgabe steht: „Ludwig Kulmbach hat ab 1818 in Heilbronn Klaviere gebaut“, und „Es ist möglich, dass Carl Uebel im 1850 die Firma Kulmbach übernommen hat“.

Die Lebensdaten des Inhabers sind weitgehend bekannter:
„Gerhard Ludwig Nagel wurde am 23. Juni 1829 in Wesel als Sohn eines armen Hutmachers geboren. Da der Knabe Lust und Liebe zur Klavierbaukunst zeigte, kam er am 8. März 1844 zu dem Klavierfabrikanten Gerhard Adam in Wesel in die Lehre. Nach Vollendung einer dreijährigen Lehrzeit, in welcher er sich die Zufriedenheit seines Meisters zu erwerben wusste, blieb er noch 4 Jahre, bis zum 20. Februar 1851, als Klaviermacher-Geselle bei Gerhard Adam in Stellung. Dann begab sich der junge Instrumentenmacher, ausgerüstet mit tüchtigen Fachkenntnissen auf die Wanderschaft. Sein Weg führte ihn nach Süddeutschland, und zwar nach Stuttgart, das als Metropole des süddeutschen Pianofortebaues damals vielfach den Zielpunkt lernbegieriger Jünger des Pianofortebaues bildete.
Im November 1851 trat er bei der angesehenen Firma F. Dörner in Stuttgart als Gehilfe ein und arbeitete hier ununterbrochen bis zum Februar 1857. Dörner war mit dem fleißigen und geschickten Gehilfen recht zufrieden, und als dieser nach mehr als sechsjähriger Thätigkeit von ihm schied, gab er ihm die besten Wünsche für sein ferneres Fortkommen mit auf den Weg. Von Stuttgart ging Nagel nach Heilbronn, um hier als Geschäftsführer in die vormals Kulmbach’sche Pianofortefabrik von Carl Uebel einzutreten. Nach dem Tode des Inhabers associirte er sich im Mai 1862 mit der Wittwe desselben unter der Firma Uebel & Nagel, um bald darauf das Geschäft für alleinige Rechnung unter seinem eigenen Namen, G. L. Nagel, zu übernehmen. Im September desselben Jahres verehelichte er sich und hatte das Glück, nahezu 35 Jahre lang als treu sorgender Gatte und Vater im Kreise seiner Familie zu walten“.
Die Geschäfte ging sehr gut, seine Instrumente fanden immer mehr Anerkennungen und wurden ausgezeichnet. Er wurde Hoflieferant des türkischen Sultans.
Durch steigende Nachfrage reichten die bisherigen Fabrikationsräume nicht mehr aus. Die Vergrößerung der Fabrik wurde vorgenommen“.

Nagel Porträt
Mit dem 1. Jan. 1890 erteilte der Vater seinem ältesten Sohn, Theodor Nagel, Prokura, „welcher während der letzten vier Jahr zu weiterer Ausbildung seiner technischen und kaufmännischen Kenntnisse in Frankreich und England war“.
Nach einer Operation im Jahre 1895 erholte sich der Vater Nagel nicht wieder. Am 7. März 1897 starb er. Seine beiden Söhne Wilhelm und Hermann Nagel führen das Geschäft weiter. „Beide war schon vor Jahren in das Geschäft eingetreten und hatten auch schon in den letzten Jahren die Leitung desselben übernommen. Der erfreuliche Aufschwung, den die Fabrik unter ihnen genommen, beweist, dass die Gründung des Verblichenen sich in tüchtigen fachmännischen Händen befindet. […] Die württembergische Pianoforte-Industrie, die ob ihrer soliden Fabrikate von jeher auf dem Weltmarkte einen guten Klang gehabt hat, verliert in ihm einen jener Männer, die sich von kleinen Anfängen an durch Fleiß und Geschicklichkeit zu einer angesehenen Position emporarbeiteten, deren Hauptthätigkeit in die mächtig sich entfaltende Blütheperiode der deutschen Pianofortefabrikation fällt“.

Einige Details der Firma:
Zur Weltausstellung 1888 in Brüssel stellte G. L. Nagel „vier Pianinos“ aus.
„Einen Katalog von ganz eigenartiger Form und Ausstattung hat vor Kurzem (1897) die… kaiserl. ottoman. Hofpianofabrik… herausgegeben. […] und bringen die verschiedenen Modelle der Firma vom einfacher gehaltenen Gehäuse bis zur reichsten dekorativen Ausstattung in wirkungsvoller Weise zur Geltung“.
Die Inhaberin, „Frau G. L. Nagel Ww. […] hat sich am 1. Dezember 1902 vom Geschäfte zurückgezogen und dasselbe ihren Söhnen und langjährigen Prokuristen Wilhelm und Hermann Nagel… käuflich überlassen. Das Geschäft wird unter bisheriger Firma in alter Weise weitergeführt“.

Nagel 1901

Kripo live aus Leipzig bittet um Ihre Mithilfe:
„Flüchtig geworden ist… der 35 Jahre alte Konzertmeister E. Eugen Panzer, aus Zwötzen gebürtig, nachdem er sich in sieben verschiedenen Instrumentenhandlungen je ein Pianino verschafft und diese schleunigst weiter verkauft hat. Etwa 4000 M hat der Betrüger sich auf diese Weise erschwindelt. Mehrere Instrumente sind bereits wieder gefunden, einige fehlen aber noch, darunter eins aus der Hof-Pianofortefabrik von G. L. Nagel in Heilbronn, das die Nr. 11 205 trägt. Irgendwelche Wahrnehmungen sind an die Kriminalpolizei in Leipzig zu richten“.
(Nachtrag für den Atlas der Pianonummern: 11 205 = 1904)

Nagel 1912

Das Inserat aus dem Weltadressbuch von 1909 wurde schon 1905 gedruckt. „Der Entwurf ist ein Symbol der Musik und der Macht der Töne. Auf einer grauen Marmorbank, die sich wirkungsvoll von dem ultramarinblauen Hintergrunde abhebt, sitzt eine klassische weibliche Gestalt in antiker Gewandung (weißes Unterkleid mit blauer Toga) mit der Lyra im Arm. Zu ihren Füßen ruht, bezähmt von den Tönen der Leier, ein Löwe. Der cremfarbige untere Teil des Plakates, der den Fußboden darstellt, trägt in blauen Lettern Name und Sitz der Firma mit dem Gründungsjahr 1828 und dem türkischen Wappen. Ueber der Figur erscheinen im Tiefblau des Hintergrundes die Worte ’Nagel Pianos’ in braungelbem Farbentone mit weißer Umrandung, während über dem Ganzen ein Genius in Rosagewandung mit Fanfare und Lorbeerkranz schwebt“.
Einen weiteren Hoflieferanten-Titel erhielten 1906 die Inhaber der „Kaiserl. Ottom. Hofpianofortefabrik“ von „Seiner Majestät dem König von Württemberg“. (Wilhelm II. war von 1891 bis 1918 der vierte und letzte König von Württemberg.)
Auf der Internationalen Ausstellung 1906 in Mailand stellte Nagel 5 Pianos aus, zwei Monate später wurde von selbiger Ausstellung berichtet: „Nagel… macht mit 7 Pianinos in schöner moderner Ausstattung, eines davon in Grün (!) den vorteilhaftesten Eindruck“.
Ein Jahr später gab es für die Firma eine „Goldene Medaille“, allerdings war die Fachausstellung für Hotel- und Wirtschaftswesen in Ludwigsburg nicht ganz so hoch angebunden.Nagel 1912

Einen „recht gefälligen und gediegenen Eindruck“ machte ein Katalog von 1908 mit „33 verschiedenen Pianino-Modelle und eine Ansicht der Innen-Konstruktion… Alle Ausstattungen und Stilarten, darunter zahlreiche moderne Entwürfe, sind in dieser reichhaltigen Auswahl vertreten. Der Umschlag… zeigt auf der Titelseite in erhabenem Goldreliefdruck die Firma mit Gründungsjahr (1828) und das kgl. württembergische wie kaiserl. ottomanische Hoflieferanten-Wappen“.
1908 übernimmt der Geigenbauer Adolf Zöphel aus Magdeburg die Generalvertretung für Magdeburg und Umgegend. Warum sollte es gerade ein Geigenbauer sein, wo es doch in Magdeburg um diese Zeit nachweislich 8 Musikalien- und 15 Piano-Handlungen gab?
Im Februar 1918 brach am Morgen in den Geschäftsräumen der Firma ein Feuer aus, „das in den Holzvorräten reiche Nahrung fand. Die Weckerlinie hatte den Brand bald gelöscht. Die Holzvorräte und die im Parterre gelegenen Geschäftsräume sind vernichtet oder stark beschädigt“. Der Geschäftsbetrieb wurde nicht unterbrochen.
Wer kennt noch eine „Weckerlinie?“ Durch sie wurde bei Alarmierung nicht die gesamte Feuerwehr, sondern nur einige geschulte Männer zum Brandherd gerufen.
In den folgenden Jahre, bis zum Ende der Firma 1929, wurde in den „Zeitschriften für Instrumentenbau“ nichts mehr vermerkt.

Am Namen aber hielt man offensichtlich fest. 1941 bot „G. L. Nagel, Heilbronn, Hofpianofabrik“ furnierte Umbauteile, „sowie Rohmaterialien für Pianobau und Reparaturen“ an, außerdem „6 Furnierböcke mit eisern. Spindeln, Spannweite 86 cm“.

Von den oben genannten vergangenen „Nagel“ ein kleiner Hinweis zu dem heute Bekannten: Das Klavierhaus Nagel in Hannover. Das Haus wurde 1869 gegründet und kann auf eine über 140-jährige Firmengeschichte zurückblicken.
Einzelheiten sind über die Homepage ersichtlich: www.klavierhaus-nagel.de.