Lipp & Sohn, Richard

Pianofortefabrik in Stuttgart, 1831 – 1972

Ein Pianofortefabrikant „von echtem Schrot und Korn“ mit dem Motto: „Mit Kopf, Herz und Gefühl“, wie stellen wir ihn uns vor? Groß, kräftig, mit kleinem Bierbauch? Rich. Lipp war „schmächtig, von mittler Statur, ruhig in sich gekehrt, freundlich und bescheiden, seiner Aufgabe über Alles ergeben“. Sein Vater war Tuchscherer (Tuchscheren, ein zunächst manueller Arbeitsgang zur Herstellung von Webwaren), sein Geschäft bestand von den Enkeln geleitet bis zur Jahrhundertwende 1899/1900.

Der mittlere Sohn Richard, am 11. Mai 1805 geboren, wurde der Gründer der Firma „Rich. Lipp“, der späteren Kgl. Hof-Pianofortefabrik in Stuttgart. Rich. Lipp ging zu dem Stuttgarter Hofinstrumentenmacher Theodor Christoph Haug in die Lehre und verbrachte auch einen Teil seiner Gesellenzeit dort. Auf der Wanderschaft war er auch in Regensburg bei einem nicht mehr bekannten Meister.

Im November 1831 gründete er dann in Stuttgart, in der Hauptstraße, sein Geschäft mit zwei Arbeitern. „Der erwählte Lebensberuf war Lipp hoch und heilig, und hierin zu höchster Vollkommenheit zu gelangen, war sein Ideal … Aeussere Ruhmesbesiegelungen waren nicht die Ziele, welche ihm erstrebenswerth erschienen, so dass er z. B.  nur schwer zur Beschickung von Ausstellungen zu bewegen war“.

„Seine ersten Instrumente verkaufte Lipp in Stuttgart und Württemberg. Bald darauf – aber noch in den dreissiger Jahren – wurde es als ein Ereignis gefeiert, als das erste Instrument dem Frachtfuhrmann (Eisenbahnen gab’s noch nicht) zur Beförderung in das ‚Ausland‘, nach ‚Mannheim‘, übergeben wurde. Deutsche Nachbarstaaten waren ja damals noch Ausland“.

Der Absatz verbreitete sich über Baden, Hessen, den Rhein hinunter bis Holland und nach „Baiern“. In den vierziger Jahren nahm er den Export von Pianinos nach Italien, Rußland, Schweden, England, Argentinien, Südafrika und Australien auf und erweiterte ihn ständig.

Ersten Sendungen Anfang der sechziger Jahre gingen über See nach Asien, Australien, später fanden die Instrumente Verbreitung in der ganzen Welt.

Schon sechs Jahre nach der Gründung erhöhte sich die Arbeiterzahl auf 15, acht Jahre später auf 40 Arbeiter. Lipp suchte neuer Fabrikräume, zog um, ließ weitere Arbeits- und Lager- räume bauen.  „Rich. Lipp war ein entschiedener Anhänger der Handarbeit und ein ausgesprochener Gegner der Maschinenwesens. Die Maschine hätte – wie er sich wiederholt ausliess – keine Intelligenz, kein Gefühl, kein Nachdenken, und ohne solche Vorbedingungen könnte eine rechte Arbeit nicht geschaffen werden. … In seiner Arbeit sah Lipp seine Kunst, und stetiges Verbessern und Vervollkommnen war seine Lust. … Herr Richard Lipp hat aber noch bis zum Jahre 1860 bei Talglicht gearbeitet, und zwar Sommer wie Winter von früh punkt 5 Uhr bis 7 Uhr Abends. – Das war damals die Normal-Arbeitszeit für die Gehilfen“.

Die Maschinen mit Dampfbetrieb verrichteten nur grobe Arbeiten. Die feineren wurden getreu der Überlieferung „des Hauses mit der Hand gemacht, denn der Papa Lipp hat es zu oft seinen Jüngeren gepredigt: dass nur die gute geschulte intelligente und gewissenhafte Menschenhand im Clavierfache das Gediegene schaffen könne“.

Erste von Rich. Lipp gebauten „Claviere waren einfache tafelförmige Pianofortes, noch vorderstimmig und mit viereckigen Füssen“. Nicht lange, dann ging Lipp zu hinterstimmigen Pianofortes mit verbesserter Mechanik über, „vorerst immer noch zweichörig“.

Seine Neuerungen und Verbesserungen führte er selbst aus, ohne je an „Patentirung“ zu denken. „Unter vielem Andern kann erwähnt werden, dass er zuerst an seinen Tafelclavieren den ‚Klangstab‘ angewendet hat, dann hat er schon sehr früh die Belederung der Hämmer verworfen und ausschliesslich Filz angewendet. – Zuerst war es Wollfilz; doch da ihm dieser noch nicht immer genügte, liess er sich, wohl als erster, Haarfilz nach seinen eigenen Angaben durch einen befreundeten Stuttgarter Hutmacher beschaffen. Vor ihm hatte wohl noch Niemand an die Verwendung gerade dieses Materials gedacht“.

Schon in den 50iger Jahren entstanden die ersten kreuzsaitigen, dreichörigen Tafelpianos. Nur kurz vorher baute er gradsaitige Pianinos. Die kreuzsaitigen Pianinos baute er in den sechziger Jahren mit „eigenthümlichen Rastenbau und Platten-Construction, welche in verhältnissmässig niederem Bau durch sehr schiefe Saitenlage und grosse Mensur mächtige Tonfülle erhielten. Sie erregten damals Aufsehen und wurden auch vielfach nachgebaut“.

Mit dem Flügelbau wurde 1866 begonnen. Der erste Konzertflügel wurde von dem bekannten Pianisten Hans von Bülow gespielt (von Bülow wurde in Reklamen anderer bedeutender Firmen immer wieder lobend für die Produkte der jeweiligen Firmen erwähnt) – war ein „durchschlagender Erfolg“. Er wurde von „Sr. Maj. König Karl von Württemberg angekauft. Die Schöpfung dieses Meisterstückes trug Rich. Lipp die ‚grosse goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft‘ ein“.

Lipp seine Instrumente erzielten „Vollkommenheit und Dauerhaftigkeit“. Begründet auch in der Auswahl des Materials und „der sachgemässen eigenen Pflege desselben. Selbst auserlesenes Holz der vielen, verschiedenen Arten, welche nöthig sind, im Innen- und Aussenbau eines Piano’s herzustellen, muss stets in Bohlen und Dielen aufgeschnitten, auf viele Jahre voraus vorräthig sein. … Daher die mächtigen Holzlager, welche ein grosses Areal bedecken. Mit dem übrigen Material wird in gleich sorgfältiger Weise bei Wahl und Verarbeitung verfahren. … Platten werden in Stuttgart gegossen – natürlich nach eigenen Modellen – aus bestem Metall. Mechaniken kam früher theilweise von Paris (vor 1820), theils wurden sie von Lipp selbst hergestellt. Seitdem liefern Isermann und Jacob Keller“.

Lipp’s Prinzip war ein Instrument nicht schnell fertig zu bauen, „sondern nach jedem Arbeitsabschnitt, deren zehn bis zwölf durchzumachen sind, eine längere Pause eintreten zu lassen, um vollständige Sicherheit und Dauerhaftigkeit der Construktion zu erzielen. Daher müssen immer verhältnismässig viel Instrumente in Arbeit genommen werden“.

Ehrenvolle Auszeichnungen erhielt die Firma auf den Ausstellungen 1854 in München für „Tafelclaviere“, 1862 in London für Tafelclaviere und Pianinos, 1873 in Wien für Pianinos und Flügel. In den folgenden Weltausstellungen erhielt die Firma „höchste Preise“.

1873 betrug die Jahresproduktion 400 Stück, die Fabrikations-Nummer 7.375 wurde erreicht.   Ein großer Anbau wurde dem Betrieb hinzugefügt. „Zugleich wurde das ganze Etablissement mit Dampf und Wasserleitung ausgerüstet. Die Beleuchtung ist gegenwärtig durchweg Gas. Wegen Mangel an Raum musste ausserhalb der Fabrik in zwei Filialen gearbeitet werden“.

Von seinen drei Söhnen und zwei Töchtern übernahm 1873 für nur kurze Zeit der dritte Sohn Robert die Firma, die in

„Rich. Lipp & Sohn“

umgeändert wurde. Rich. Lipp zog sich wegen „Kränklichkeit“ nach Cannstatt zurück und starb dort am 17. September 1874.

1880 wurde der Firma das Diplom „Kgl. Hof-Pianoforte-Fabrik“ verliehen. Robert Lipp starb bereits 1883 mit 32 Jahren. Seine beiden älteren Brüder lebten zu dieser Zeit schon nicht mehr.

Die Hof-Pianofortefabrik wurde von seinem Schwiegervater Eduard Beisbarth weitergeführt bis zu dessen Tode 1893 am 15. Mai 1893, kurz nach Vollendung seines 81. Lebensjahres.

Die technischer Leitung übernahm Heinrich Auwärter, der seit 1859 in der Firma tätig war und Th. Staub war Verwaltungsleiter. Letzterer schied 1890 aus der Firma aus.

Für ihn trat der Sohn Paul Ed. Beisbarth in die Firma ein; ein Jahr später erhielt er Prokura, die für Heinr. Auwärter erlosch. Heinrich Auwärter verließ die Firma und errichtete mit seinen Söhne eine eigene Pianofabrik in Stuttgart: „Auwärter & Söhne“.

1886 wurde das 13.645 Instrument fertig, die Arbeiterzahl betrug durchschnittlich 110.

 

1890 ging „die Leitung des Unternehmens in die Hände“ des Schwagers von Robert Lipp, „des heute noch an der Spitze stehenden, hochangesehenen Konsuls Paul Beisbarth über“.

1890 wurde in Pforzheim ein Pianoforte-Magazin der Pianofabrik Rich. Lipp & Sohn mit Reparatur-Werkstatt durch den ehemaligen Ausarbeiter Karl Scheid eröffnet.

Herr Paul Beisbarth suchte (1892) für den Verkauf der Lipp’schen Instrumente verschiedene Händler auf. Er kam auch nach Sachsen, nach Leipzig zu dem Klavierhändler Herrn R. Bachroth.

1904 erfolgte die handelsgerichtliche Eintragung: „Die Firma … ist auf den Pianofortefabrikanten Paul Beisbarth (sen.) übergegangen“, Herrn Karl Fischer ist Prokura erteilt worden.

Fa. Richard Lipp & Sohn

Am 15. Mai 1909 wurde das 30.000 Klavier „fertiggestellt und zum Versand gebracht“.

Von Stuttgart ging 1911 der Blick der Firma nach Feuerbach, dort erwarb sie ein großes Baugelände und plante den ganzen Betrieb dorthin zu verlegen.

„Für die Fachklassen der Klaviermacher an der Gewerbeschule Stuttgart“ wurde 1912 u. a. von Rich Lipp & Sohn gestiftet: „Ein Piano-Modell natürl. Größe, bestehend aus Rasten, Resonanzboden, Platte, Klaviaturboden, Umbau, Pedale; als Demonstrationsmodell vollständig zerlegbar, die Seiten mit Konsolen laufen in Scharnieren, für den Unterricht grundlegend und unentbehrlich“.

Am 1. Oktober 1913 war es soweit: „Der gesamte Fabrikbetrieb … befindet sich … in ihrem neuen großen Fabrikgebäude in Feuerbach bei Stuttgart, wohin sie auch ihre Kontorräume verlegt hat. Das Verkaufsmagazin verbleibt … in Stuttgart, Schloßstr. 39“. 350 Arbeiter waren kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in dem neuen Werk beschäftigt. Noch nicht ein Jahr später, am 14. Juni 1914, richtete ein Unwetter in Feuerbach durch „niedergehende Wassermassen argen Schaden“ an. Besonders an den wertvollen Furniervorräten wurde der Schaden auf etwa 70.000 M. geschätzt.

Kriegswirren nach dem Ersten Weltkrieg- , zurückgehende Geschäfte. „Fabriziert R. Lipp überhaupt noch?“ Aufgegeben hat wurde die Klavierfabrikation keineswegs. Nachdem die Fabrik in Feuerbach verkauft wurde, fabrizierte man weiter in der früheren Fabrik in der Mozartstraße 43 und in der Hasenberger Straße 49.

„Bei der Firma Rich. Lipp & Sohn, … wurde im Handesregister als offene Handesgesellschaft seit 1. Juli 1919 eingetragen: Gesellschafter sind die Pianofortefabrikanten Paul Beisbarth und Paul Eduard Beisbarth jun. in Stuttgart, Prokurist der Kaufmann Carl Fischer, daselbst“.

Die 1846 gegründete Klaviaturfabrik Albert Schäuffele wurde 1921 mit Einrichtung und Anwesen von der Firma Rich. Lipp & Sohn gekauft, sogar ein Teil des Personals wurde übernommen.

Das 40.000 Instrument wurde Ende des Jahres 1924 fertiggestellt: Ein kleiner schwarzer Stutzflügel. „Durch ihre vorzüglichen Fabrikate hat die Firma Rich. Lipp & Sohn, die in wenigen Jahren auf ein Jahrhundert ihres Bestehens zurückblicken kann, sich einen Weltruf erworben, und es dürfte wohl kein zivilisiertes Land der Erde geben, wohin die Lipp-Pianinos und Lipp-Flügel keinen Eingang gefunden haben“.

Zur Frühjahrsmesse 1929 in Leipzig stellt die „altberühmte Firma … wiederum ihre aufsehenerregenden Musikapparate mit elektrisch verstärkter Wiedergabe ‚Lippophon‘ aus. Die Firma hat die Entwicklung dieser noch jungen Branche von Anfang an aktiv mitgemacht und kann sich heute rühmen, eines der führenden Häuser auf diesem Gebiete geworden zu sein. … Das ‚Lippophon‘ besitzt den Ruf, zu den besten Musik-Apparaten seiner Art zu zählen“.

Mitte des Jahres 1931 wurde das Vergleichsverfahren „über das Vermögen der Firma Rich. Lipp & Sohn“  zur Abwendung des Konkursverfahren eröffnet,  nach dem Vergleich aber aufgehoben.

Im gleichen Jahr aber gab es einen Grund zur Dankbarkeit: „Vor kurzem, mitten in schwerster Zeit, konnte dieses Unternehmen ein Jahrhundert vollenden und Rückschau halten auf einen langen Weg ausdauernden Schaffens und schönen Erfolges“.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden mehr als 42.000 Instrumente hergestellt.

Ein guter Wunsch begleitete damals die Firma – der seine Gültigkeit nach über 70 Jahren nicht verloren hat: „Möge es dem Unternehmen vergönnt sein, die Schwere der Zeit zu überwinden, zum Wohle der deutschen Wirtschaft und zum Ruhme unserer Pianoindustrie!“

Der Betrieb wurde 1932 verkleinert bis auf 20 Mitarbeiter, fabriziert wurde in der Weißenburgerstr. 32.

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„Neue deutsche Kleinklaviere“ – die Reklame Mitte der dreißiger Jahre. „Die Umstellung des deutschen Pianobaus auf das Kleinklavier ist heute gekennzeichnet durch den Übergang immer weiterer Firmen zu dieser zeitgemäßen Bedarfsbefriedigung, die ebensosehr in wirtschaftlichem wie kulturellem Interesse liegt“. Rich. Lipp & Sohn baut „neuerdings auch ein Kleintyp-Piano. Es handelt sich dabei um ein kleines Pianino, das 7 Oktaven umfaßt, kreuzsaitig bezogen und mit voller Panzerplatte ausgestattet ist. Die Höhe beträgt 114 cm, die vordere Breite 134 cm (Rückwand 140 cm), die Tiefe 55 cm. Bemerkenswert ist, daß die Größe des Resonanzbodens, sowie die Saitenlänge dieselben sind, wie bei dem … seit mehr als 24 Jahren schon gebauten Piano mit 135 cm Höhe. Es handelt sich also bei dem neuesten Modell um keinen Versuch, sondern um ein auf langjährige Konstruktionserfahrung beruhendes Instrument, dazu in einer von moderner Innenarchitektur bestimmten Form in verschiedenen Holzarten“.

1937 wurde Paul Eduard Beisbarth Inhaber der Firma. Sein Vater, Konsul Paul Beisbarth, der aus der Firma ausschied, feierte ein Jahr später seinen 80. Geburtstag.

Die Fabrik wurde im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört, die Produktion aber vorerst nicht wieder aufgenommen. Zunächst befand sich dort eine Reparaturwerkstatt. Nach dem Tode von Paul Ed. Beisbarth (1958) – führte der Urenkel des Gründers, Klaus Beisbarth, die Firma weiter. Neben dem Klavierbau begann der Bau von elektronischen Musikinstrumenten, zusammen mit der Ahlborn-Orgel GmbH. Die Klavierproduktion wurde eingestellt, den Markennamen hat Bentley, London, übernommen.

 

Quelle: „Zeitschrift für Instrumentenbau“, 1889 – 1943.