Biese, Wilhelm

Pianofortefabrik Berlin, 1851 – 1966

Im Nachruf vom Dezember 1902 steht ein Spruch aus dem Buch der Psalmen:
„Unser Leben währet siebenzig Jahre, Und wenn es hochkommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“
Mühe und Arbeit war das Leben von Wilhelm Biese. Für Berlin hatte sein Leben und Wirken besondere Bedeutung. In einem Artikel aus „Handwerker im Dienste der Musik“ ist zu lesen:
„In den 50er Jahres des 19. Jahrhunderts gewann der Berliner Pianofortebau zunehmend an Bedeutung, als sich Männer wie Biese, Bechstein, Duysen, Schwechten und andere in Berlin niederließen. Sie wurzelten zwar alle noch in der soliden handwerklichen Tradition, machten sich aber schon bald die neuen Fertigungsmethoden mit ihren Produktionssteigerungen, vor allem aber die aus Amerika herkommenden Neuerungen im Pianofortebau zunutze. Die Lebenswege von Wilhelm Biese und Carl Bechstein sind beispielhaft für viele ihrer Berliner Kollegen“.

In einem Gruß zu seiner Goldenen Hochzeit 1896 heißt es:
„Wenn man in Bülow’scher paradoxer Weise von 3 großen B’s im deutschen Pianofortebau sprechen wollte, so dürften wohl Bechstein, Biese und Blüthner zu nennen sein; Biese nimmt zwischen dem Classiker Bechstein und dem Romantiker Blüthner eine Mittelstellung ein. Daß sich um den begabten Meister Biese ein Kreis von tüchtigen Arbeitern bildete, daß seine Fabrik mit einem Musterstaate im Kleinen zu vergleichen ist, spricht außerdem für edle Charakter-Eigenschaften des Principals. Fast ausschließlich ältere und alte Leute zählen zu seinen lieben Jungen, für deren persönliches Wohl der Meister unverdrossen und unermüdlich besorgt ist“.

Was aber haben Grundpfähle einer alten Römerbrücke mit dem Berliner Hofpianofortefabrikanten und Geheimen Kommissionsrat W. Biese zu tun?
Der Reihe nach. Am 20. April 1822 wurde Wilh. Biese in Rathenow geboren, er besuchte die Stadtschule und begann mit 14 Jahren eine Lehre bei dem Instrumentenmacher Schulz. Die Lehrzeit war eine Zeit des umfassenden Lernens, des „Alles-Lernen“. U. a. Klaviaturen und Mechaniken herstellen, Feilen von Wirbeln, Bleichen und Schneiden von Elfenbein, Polieren, Egalisieren und Intonieren gehörten dazu.
Mit 16 Jahren fertigte er ein tafelförmiges Klavier an – nach 40 Jahren erwarb er es wieder.
Es „ist ein glänzendes Zeugnis für die Vortrefflichkeit der alten Schule, die ihr Augenmerk noch nicht auf Massenproduktion richtete. Es ehrt den Meister und auch den fleißigen, intelligenten Schüler“.

Biese

Nach den Lehrjahren begannen die Wanderjahre, dem „gutem deutschen Handwerksbrauch“ folgend. Erste Station war Magdeburg, dort wirkte der Meister Günther, weitere Station war Köln bei dem „berühmten Eck“. Zuletzt besuchte er „die damalige Hochschule des Klavierbaues, die Werkstätten der Berliner Fabrikanten Kisting und Stöcker“.
Am 27. Dezember 1846 heiratete er. Wilh. Biese fasste den Entschluss, sein Wissen und Können selbständig „zu verwerthen“.
Am 1. März 1851 begann er in Berlin als Klavierbauer. „Klein und mühselig war der Anfang, aber durch rastlosen Fleiß gelang das Wagniß, und als zehn Jahre vergangen waren, verkündeten tausend Klaviere mit tausend Zungen den Ruhm der Biese’schen Arbeit“.
W. Biese blieb nicht in Berlin, er suchte seine „Weiterbildung“ im Ausland: 1862 und 1867 besuchte der London und Paris. Hervorragende Pariser Künstler gaben ihm für seine Instrumente „die glänzendsten Beurtheilungen“.

Biese Inserat

Die Spezialität seines Betriebes war das Pianino. „Vielfache Verbesserungen ersann sein nimmer ruhender Geist, und so erfolgreich war sein Wirken auf diesem Gebiete, daß die Pianinos von Biese bald zu dem Besten gehörten, was auf diesem Gebiete geleistet wurde. Fülle und Poesie des Tones zeichneten seine Instrumente aus und verschafften ihnen immer größeren Absatz“. 1873 verkaufte Biese die Firma an Richard Wolkenhauer, Stettin, kaufte sie aber nach nicht allzu langer Zeit wieder zurück.
Beachtlich war die Herstellungszahl: 1876 wurde schon das 8.000, 1902 das 20.500 Instrument hergestellt.
Wilh. Biese erfreute sich über die „Anerkennung seines Landesherren. Der König von Preußen verlieh im den Titel eines Geheimen Kommissionsrathes und den preußischen Kronenorden“.
Was aber haben Grundpfähle einer alten Römerbrücke … siehe Frage von oben.

Biese war ein Sammler von Münzen, Bildern, Büchern und anderer Seltenheiten. Aus seiner Neigung für Geschichte und „Alterthümliches“ ging folgendes hervor.
1881 wurden bei Mainz die Grundpfähle der alten Römerbrücke ausgegraben. „Das Holz war noch verwendbar, ja es zeigte wider alles Vermuthen, trotz seines Alters – beinahe 2000 Jahre – eine so unverwüstliche Jugendkraft, daß der Gedanke, dasselbe zu gebrauchen, nahe lag. Biese erwarb einen großen Theil der zu Tage geförderten Stämme und benutzte sie zu Umbauen für mehrere seiner Pianinos. Die Sache machte Aufsehen, nicht nur unter den Musikern, sondern auch in den Kreisen der Naturforscher und Archäologen, denen Biese mit gewohnter Liebenswürdigkeit bereitwilligst Proben des Holzes, theils roh, theils be- und verarbeitet überließ. Der markante Gegensatz zwischen der ursprünglichen und der späteren Bestimmung dieser altehrwürdigen Eichenstämme wurde von verschiedenen Seiten in poetischer Form ausgedrückt:

So muß ich denn nun ohne End’ – Mein Schicksal ruhig tragen:
– Ob Brücke oder Instrument, – Stets werde ich geschlagen. (Berliner Wespen)

(Diese Originalität sollte in der Geschichte des Klavierbaues vermerkt werden.)

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Sicherlich auch ungewöhnlich feierte Wilh. Biese 1886 sein „fünfzigjähriges Jubiläum als Klavierbauer“. Vor 50 Jahren begann er ja gerade erst vierzehnjährig seine Lehre.
Auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1886 waren seine Instrumente „in verschiedenen Ausstattungen und Genres“ zu finden.
Zur Weltausstellung 1888 in Melbourne stellte er drei Pianinos aus.
Im gleichen Jahr feierte Wilh. Biese am 27. Dezember das Fest „seines goldenen Ehejubiläum“. Seine Gattin stand ihm treu zur Seite, in allen Sorgen und Mühen, besonders „wenn ihm trotz seines reichen Wissens und Könnens manchmal der Muth sinken wollte“.
Immerhin erhielt er und seine Gattin Konradine, geb. Schwarz, die „goldene Ehejubiläumsmedaille“ verliehen.
1902 feierte Wilhelm Biese seinen 80. Geburtstag. An diesem 20. April wurde er durch ein Morgenständchen eines Orchester geweckt. Nachdem zahlreiche Glückwünsche entgegengenommen wurden, begann das „Frühstück“, das sich bis zum Nachmittage hinzog.

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„Altmeister Biese gehört noch zu jenem alten tüchtigen Stamme der Klavierbauer, die kein Instrument aus dem Magazin lassen, welches nicht von ihnen selbst auf das Eingehendste geprüft worden ist. Bewundernswerth ist die Rüstigkeit des Jubilars, der trotz seines hohen Alters noch von früh bis spät in der Fabrik thätig ist“.
Ja, selbst am Morgen seines Sterbetag, am 14. November, beschäftigte er sich in der Fabrik. Dann „trat ganz plötzlich infolge Luftmangels“ der Tod ein.
Nach dem Tode wurde handelsgerichtlich der neue Inhaber der Firma eingetragen:

Herr Dr. Johann Karl Gottfried Leopold Hans Biese,

der Assistenzarzt der Universitätsohrenklinik in Gießen.

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1903 erfolgte die Umwandlung in eine OHG, der Kaufmann Carl Adolf Bluth, der seit 1892 als Geschäftsführer tätig war, trat als persönlich haftender Gesellschafter in die Firma ein.
„Fast ausschließlich ältere und alte Leute zählen zu seinen lieben Jungen …“ So hieß es zum Gruß zur Goldenen Hochzeit – und der Kgl. Gewerberat M. Donath kam 1905 im Auftrag des Kgl. Polizei-Präsidiums und überbrachte dem Werkführer Heinrich Bock, der 33 Jahre ununterbrochen tätig war und dem Instrumentenmacher Adolf Güttner, der seit 41 Jahren dem Personal angehörte Ehrenzeichen. Der Kgl. Gewerberat „ließ dann nach Anheftung der Ehrenzeichen seine zündende Rede in ein Hoch auf die Dekorierten ausklingen“.
1906 fand in Berlin die Musik-Fachausstellung statt. „W. Biese, Berlin, bot mit 3 ausgestellten Pianinos eine kleinere Auswahl, aber trefflich Muster seiner ausgezeichneten Instrumente, darunter 2 nach sehr schönen, künstlerischen Entwürfen“.

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Erst 1907 begann der Flügelbau in der Pianofortefabrik.
Der Kgl. Gewerberat kam nach zwei Jahren wieder in die Firma, um einem Tischler das allgemeine Ehrenzeichen mit der Inschrift „Verdienste um den Staat“ für seine 40jährige Tätigkeit zu verleihen. Außerdem erhielt der Tischler „ein ansehnliches Geldgeschenk von seinem Chef ausgehändigt“. Nicht bekannt ist, über was sich der Tischler am meisten freute.
Dr. med. Hans Biese ist 1908 aus der Firma ausgeschieden, er ließ sich als Facharzt in Düsseldorf nieder. Der Architekt R. Sinnig, der Schwager des Herrn Bluth, trat in die Firma ein, – bis er 1935 ausschied. Bis 1945 wurden ca. 29.300 Instrumente hergestellt.
Ende 1945 wurde berichtet, dass „Biese, W., repariert z. Zt. nur u. hat Concordia Räume abgetreten“.

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Bis 1948 wurde das Geschäft von Herrn Bluth betreut, das dann 1951 von Reinhold Schröther übernommen wurde. Reichlich 4.000 Instrumente wurden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt bis die Produktion 1976 eingestellt wurde.
Wilhelm Biese, sein Leben war „köstlich“ und es war „Mühe und Arbeit gewesen“ –

Wilhelm Biese, eine Berliner Firma, die nicht ganz vergessen werden sollte.